GiantSTEP

Endlich ohne Finger rechnen!

Ein Cluster-Projekt zur Überwindung von Rechenschwächen

„5+4 = 8! … oder?“

Für Lea (12) ist 5+4=8 und 16-3=14. Auf Nachfrage erklärt sie ihren Rechenweg so: „Zur 5 müssen doch 4 dazu!“ Sie streckt den Daumen hoch und sagt „5!“, anschließend zählt sie laut weiter, „6; 7; 8!“ Bei jeder genannten Zahl streckt sie einen weiteren Finger aus. Am Ende hält sie 4 Finger hoch. „Ich habe 4 dazugerechnet! 5+4=8!“ 16-3 löst sie ebenfalls mit Hilfe der Finger: „16; 15; 14“ zählt sie und reckt am Ende 3 Finger in die Luft. „16-3 ist 14!“.

Facts

  • Was? – Vermittlung von Grundverständnis für Zahlen, Rechenoperationen und Rechenstrategien.
  • Für wen? – Schüler:innen zwischen 9 und 14 Jahren.
  • Wo? – Oberschulen der Stadt und des Landkreises Hildesheim.
  • Wann? – Mai 2024 bis Juni 2026.

Über das Projekt

Lea hat eine Rechenschwäche. Im Laufe ihrer ersten Schuljahre hat sie falsche oder nicht tragfähige Rechenstrategien verinnerlicht. An diesen hält sie seitdem stoisch fest, denn ihre Rechenstrategien ermöglichen, dass sie sich überhaupt an einer Rechenaufgabe versuchen kann. Durch ihre Strategie gelangt sie zu einer für sie schlüssigen Lösung. Das systematische Abarbeiten ihrer Strategie gibt ihr eine Struktur und damit ein Gefühl von Sicherheit.

An der Geschwister-Scholl-Schule Hildesheim wurden in den letzten 7 Jahren konsequent alle „neuen“ Schüler:innen des 5. Jahrgangs auf Rechenschwäche überprüft. Über 60% der Schüler:innen zeigten eine vergleichbare Rechenschwäche. Bundesweit geht man davon aus, dass bis zu 10% der Menschen in Deutschland von einer Rechenschwäche betroffen sind. Ohne eine individuelle und zielgerichtete Förderung „verwächst“ sich eine Rechenschwäche im Laufe des Lebens nicht. Lea wird also ihre „vertrauten“ Strategien weiter nutzen. Aufgrund fehlender Erfolgserlebnisse wird das Fach Mathematik für sie jedoch immer angstbesetzt bleiben. Fächer oder Berufe mit mathematischen Anforderungen werden von ihr gemieden werden, obwohl sie eigentlich sehr strukturiert arbeiten kann.

Bei der Überwindung einer Rechenschwäche geht es darum, falsche Rechenstrategien zu identifizieren und durch tragfähige zu ersetzen. Bei konventioneller Nachhilfe fehlt es hierfür oft an Zeit. Außerdem stellt das Identifizieren der jeweiligen Rechenstrategie und warum die Kinder überhaupt zu einem falschen Ergebnis kommen, eine Herausforderung dar. Das Erlangen dieser grundlegenden Erkenntnis erscheint den meisten Menschen wenig schwierig, für Betroffene ist es jedoch die zentrale Hürde. Die Überwindung dieser Hürde nennen wir GiantSTEP.


Die Überwindung einmal verinnerlichter Handlungsweisen und Gewohnheiten braucht grundsätzlich Zeit und intensive Begleitung. Im Rahmen schulischer Förderung oder in Nachhilfeinstituten ist es nicht möglich, die entsprechenden Ressourcen für eine notwendige, individuelle 1 zu 1 Förderung zur Verfügung zu stellen. Viele Familien können zudem die Kosten einer Einzelförderung in Nachhilfeinstituten nicht tragen.

Des Weiteren fehlt es häufig an einem Konzept zur Überwindung von Rechenschwäche. Statt mit den Betroffenen, ausgehend von ihren Fehlvorstellungen, an der Erarbeitung zielführender Strategien zu arbeiten, werden meist Aufgabenblätter zur Stillarbeit ausgegeben. Die „Förderung“ besteht also darin, die Betroffenen noch mehr Zeit mit dem Lösen von Aufgaben, die sie eigentlich nicht selbstständig lösen können, verbringen zu lassen.

Das Modellprojekt „GiantSTEP“ soll es gerade finanziell benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Nachmittagsangebotes ihrer Schule kostenlos ermöglichen, ihre Rechenschwäche zu überwinden. Das Förderkonzept von GiantSTEP orientiert sich an den Forschungen und Erkenntnissen von Prof. Dr. Wilhelm Schipper und der universitären Bielefelder Beratungsstelle für Kinder mit Rechenstörung.

Kooperation mit Oberschulen

Dazu gehören unter anderem die Geschwister-Scholl-Schule und die OBS Bockenem. Weitere Schulen im Landkreis sind im Gespräch. Die Durchführung des Projekts findet in den teilnehmenden Schulen und dafür geeigneten Klassen- oder Fachräumen statt, die von den Schulen zur Verfügung gestellt werden. Ebenso die Schulungen, Supervision und Coaching der Multiplikator:innen.

Projektablauf

Im Rahmen der GiantSTEP-Förderung werden zunächst durch ein diagnostisches Gespräch zwischen Multiplikator:in und Schüler:in vorhandene Fehlvorstellungen und nicht zielführende Rechenstrategien ermittelt. In den sich anschließenden Einzelförderungen werden zentrale, tragfähige Grundvorstellungen und Rechenstrategien verständnisorientiert vermittelt und automatisiert. Wichtige Elemente sind dabei die bildhafte Verinnerlichung von Mengendarstellungen und die Automation von Zahlzerlegungen, sowie die Vermittlung der tragfähigen Strategie „bis zum Zehner und dann weiter“. Zentrale Materialien der Förderung sind Rechenplättchen und ein zweifarbiger Rechenrahmen. Das „Überschreiben“ erlernter Verhaltensweisen ist ein sehr langwieriger Prozess. Daher werden die Betroffenen, in sukzessiv größer werdenden zeitlichen Abständen begleitet, bis die neu erlernten Strategien sicher im Langzeitgedächtnis verankert sind. Diese letzte Phase der „Nachsorge“ kann in Kooperation mit den Erziehungsberechtigten erfolgen, was die Betroffenen zusätzlich in dem Prozess des „Verinnerlichens“ unterstützt und die Dauer der Nachsorge in der Regel verkürzt.

Zielsetzung

Ziel des Programms ist es, die Wirksamkeit des GiantSTEP-Programms bekannter zu machen und so eine mögliche Verstetigung und Ausweitung der Kapazitäten zu erzielen. Langfristig sollte so jedem Kind mit Rechenschwäche in Stadt und Landkreis Hildesheim eine erwiesen wirksame und nachhaltige Förderung ermöglicht werden.

Das Projekt wird gefördert von der Jugendstiftung Sparkasse Hildesheim Goslar Peine, den BildungsChancen, der Johannishof Stiftung, der Friede Springer Stiftung und der Postcode Lotterie.